Friday, December 16, 2016

Habermas on Communicative Reason (new interview)

The recent issue of ”Deutsche Zeitschrift für Philosophie” (vol. 64 no. 5) contains an interview with Jürgen Habermas on his concept of communicative reason – ”kommunikative Vernunft”. 

The interview is conducted by Professor Christoph Demmerling (Jena) and Professor Hans-Peter Krüger (Potsdam).

Abstract in English:

Jürgen Habermas explicates the concept of communicative reason. He explains the key assumptions of the philosophy of language and social theory associated with this concept. Also discussed is the category of life-world and the role of the body-mind difference for the consciousness of exclusivity in our access to subjective experience. as well as the role of emotions and perceptions in the context of a theory of communicative action. The question of the redemption of the various validity claims as they are associated with the performance of speech acts is related to processes of social learning and to the role of negative experiences. Finally the interview deals with the relationship between religion and reason and the importance of religion in modern, post-secular societies. Questions about the philosophical culture of our present times are discussed at the end of the conversation.

Excerpts from the interview:

Demmerling: (……) Versucht man, sich Ihr philosophisches Werk als Ganzes vor Augen zu führen, wird schnell deutlich, dass Sie Theorieangebote aus beinahe allen Strömungen der Philosophie aufgegriffen haben, um auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Fragen und Probleme im Rahmen einer Philosophie der kommunikativen Vernunft miteinander zu verbinden. Bei aller Heterogenität des von Ihnen verwendeten Materials: Gibt es so etwas wie eine ursprüngliche Einsicht, die alle anderen Einflüsse überstrahlt?

Habermas: Der heroische Gestus des einen tiefen Gedankens gehört zum fatalen deutsch-platonischen Erbe, mit dem meine Generation gebrochen hat. Man kann heute eine „Theorie aus einem Guss“ nicht mehr erwarten. (…….)

Wenn man nach einem Angelpunkt sucht, bildet natürlich der pragmatische Begriff der kommunikativen Vernunft den Kern alles Weiteren. Die Vernunft differenziert sich nach den deskriptiven, normativen und expressiven Modi der Verwendung von Aussagen. Die Einheit dieser differenzierten Vernunft stellt sich nur über die Verständigungsabsicht operativ, also im Vollzug der Kommunikation her. Ich sage Verständigungsabsicht, weil ohne die Orientierung am Ziel des Einverständnisses die Produktivkraft der Negation ihre Arbeit nicht tun könnte. Die einigende Kraft des Diskurses bewährt sich über Negationen von Negationen. Denn was wir „Vernunft“ nennen, besteht im Gebrauch der Vernunft. Dabei bilden Gründe die Münzen, in denen sich die Vernunft gewissermaßen auszahlt. Bei aller gebotenen Differenzierung zwischen den je nach Geltungsanspruch spezifischen Begründungsmustern sorgt der diskursive Austausch von Gründen für ein Kontinuum, das sogar die Verbindung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft nicht ganz abbrechen lässt – obwohl beide nicht mehr in den metaphysischen und theologischen Grundbegriffen wie „Sein“, „Logos“ oder „Gott“ miteinander verklammert werden können. Mir fällt auf, dass die „kommunikative“ oft mit der „praktischen“ Vernunft verwechselt wird. Ich habe jedoch die „kommunikative Rationalität“ über die genannten Modi und Geltungsansprüche sprachtheoretisch als den umfassenderen Begriff eingeführt. Von diesem Begriff ausgehend, dienen mir sodann die Kommunikationsmodi als Leitfaden, um die ontologischen, sozialontologischen und subjekttheoretischen Voraussetzungen für Referenzen, also für die Bezugnahmen auf etwas in der objektiven, sozialen und subjektiven Welt, aufzuklären. Auf der anderen Seite führt die Analyse der Geltungsansprüche und der diskurstypischen Begründungsmuster zu den klassischen Fragen der Wahrheits- und der Erkenntnistheorie, der Moral- und Rechtstheorie sowie der Theorie der Gefühle, der ästhetischen Ausdrucksformen usw.

Demmerling: Was mich noch interessieren würde, ist Ihre Einschätzung der aktuellen Lage der Philosophie. Was sind die aus Ihrer Sicht maßgeblichen philosophischen Entwicklungen der letzten Jahre? (……)

Habermas: Das philosophische Klima hat sich geändert, nicht die Qualität der Arbeiten. Ich sehe viele produktive Untersuchungen – bei Ihren eigenen angefangen. Aber mit den Veröffentlichungen der jüngeren Kollegen, die ich auch in dieser Zeitschrift mit Interesse verfolge, bin ich doch nicht mehr ausreichend vertraut. Ein verallgemeinerndes Urteil traue ich mir nicht zu. Obwohl ich selbst kein Vorbild für lupenreine Professionalisierung bin, habe ich ja die Kleinteiligkeit der Analyse nicht gescheut; denn nichts kann die Philosophie mehr in Verruf bringen als rhetorisch ansteckende, aber argumentationsarme und assoziationsreiche Stichwortsynthesen. Das Gegenmittel ist weder die Patentierung des Berufsnamens noch eine Art der Verwissenschaftlichung, die die Disziplin in den begriffsanalytischen Hilfsdiensten für die Kognitionswissenschaften aufgehen lässt. Die wissenschaftliche Denkungsart macht aus der Philosophie keine Wissenschaft unter anderen. Jedenfalls solange nicht, wie sie sich ihrer eigentlichen Aufgabe, mit einem langen Gedächtnis zur Welt- und Selbstverständigung der Gegenwart beizutragen, bewusst bleibt. Dafür ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass wir als Philosophen Zeitgenossen der Junghegelianer geblieben sind – und nicht des 17. Jahrhunderts.

Ich kann niemandem einen Rat geben, aber als (zu?) alt gewordener Kollege eine Erfahrung mitteilen. Angelsächsische Kollegen aus meiner Generation wie Donald Davidson, Ronny Dworkin, Dick Bernstein, Tom McCarthy, Tom Nagel, Hilary Putnam, John Rawls, Dick Rorty, John Searle, Chuck Taylor oder Bernard Williams haben uns in Frankfurt nicht deshalb besucht, und sie haben sich auch nicht deshalb für die Arbeiten von Karl-Otto Apel, Dieter Henrich, Friedrich Kambartel, Robert Spaemann, Michael Theunissen, Ernst Tugendhat und anderer Kollegen interessiert, weil wir, die die deutsche Philosophie erst für die angelsächsische geöffnet haben, nur noch über den Kanal oder den Atlantik geschaut hätten. Man muss voneinander lernen können. Ich vertraue auf meine Reputation, für Nationalismus unanfällig zu sein, wenn ich an die Selbstverständlichkeit erinnere, dass der sogenannte deutsche Idealismus, der von Kant bis Marx reicht, immer noch unausgeschöpfte Anregungspotentiale enthält. Freilich sollten wir ebenso wenig vergessen, dass der amerikanische Pragmatismus der einzige demokratische Zweig des Junghegelianismus gewesen ist.

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